Mit dem Eintritt des jungen Philip Rosenthal in die väterliche Porzellanfirma 1950 sollte nicht nur die gesamte Porzellanindustrie revolutioniert werden. Für den oberfränkischen Familienbetrieb begann eine neue Ära, in der Porzellanherstellung und zeitgenössische Kunst eng miteinander verbunden waren. Es war Philip Rosenthals Suche nach einer Neudefinition von Form und Funktion, nach zeitgemäßer und moderner Gestaltung, die ihn früh beginnen ließ, internationale Künstler und Industriedesigner um sich zu scharen und zu engagieren.
Mitte der 1960-er Jahre war es an der Zeit, eine neue Fabrik für Rosenthal zu bauen. Durch einen Zufall wurde Philip Rosenthal auf den bekannten Architekten Walter Gropius aufmerksam. Der gebürtige Berliner und ehemalige Bauhausgründer, der wie Philip Rosenthal 1934 aufgrund der sich anbahnenden Bedrohung durch die Nationalsozialisten Deutschland verlassen hatte, gründete 1946 im US-amerikanischen Cambridge The Architects Collaborative (TAC). Unter diesem Namen plante und baute Gropius von nun an viele international bekannte Gebäude.
Als Philip Rosenthal ihn nun bat, für ihn zu arbeiten, zögerte er nicht lange. In den Jahren 1965–67 entstand die neue Produktionsstätte für die Rosenthal AG aus der Feder Gropius’. In den beiden darauf folgenden Jahren wurden das Glaswerk der Thomas Glas und Porzellan AG gebaut. Im Jahr 1968 entstand zudem Gropius’ Entwurf des heute als Klassiker geltenden Porzellanservices TAC 01 als Produkt der von Philip Rosenthal begründeten studio-line.
Als sich Walter Gropius in einer Diskussion um die Zierrandfarbe eines Services auf eine Wette gegen Philip Rosenthal einließ und diese dann verlor, machte Gropius sich daran, seinen Wetteinsatz einzulösen. Der Wetteinsatz war der Entwurf eines Stalls für Rosenthals Firmenmaskottchen, ein lebendes Schwein namens RORO. Vorgesehen war ein 25 qm großes Gebäude, mit Flachdach, Oberlichtband und einem großen runden Fenster, ganz in Bauhaustradition. Angedacht war eine Fassade in Sichtbeton entsprechend der Fabrik, die Gropius gerade neben dem hierfür vorgesehenen Grundstück erstellt hatte. Direkt angegliedert sollte der Außenbereich für RORO mit eigenem Schlammbad liegen. Zu Beginn des Jahres 1968 lag die fertige Planung für den Palazzo RORO vor. Doch Gropius starb im Juli 1969, die Realisierung des Vorhabens geriet in Vergessenheit und sollte fast 5 Jahrzehnte in der Schublade ruhen.
Heute, im Jahr 2016, in dem der 100. Geburtstag Philip Rosenthals gefeiert wird, soll die Geschichte um die enge Beziehung zwischen Philip Rosenthal und Walter Gropius noch einmal erzählt werden. Hierzu wurde die Planung zum Palazzo RORO aus ihrem tiefen Schlaf geholt und neu interpretiert.
unique assemblage entwickelte und interpretierte die nun entstandene Behausung für RORO auf Basis von Gropius’ Planung neu. Gemeinsam mit dem Designer Sebastian Herkner, der wiederum RORO zu neuem Leben erweckt – diesmal in weißem und farbigem Porzellan.
Als Vorlage für die Konzeption der Neuauflage des Palazzo RORO dienten die detaillierte Planung von The Architects Collaborative und die skizzierte Visualisierung von Walter Gropius, welche beide im Rosenthal-Archiv vorhanden sind. Eine zweite Inspirationsquelle waren die Erzählungen und Hintergrundinformationen über die Begegnungen und Diskussionen zwischen einem progressiven Industriellen und einem großen Akteur der modernen Architekturgeschichte. All dies wurde im Detail analysiert und beeinflusste den heutigen Entwurf. Im Vordergrund stand die Überlegung, dass weniger die Rekonstruktion der damaligen Planung als vielmehr das Erzählen der Geschichte um RORO und die Begegnung der ehrwürdigen Initiatoren Form finden soll. Die Architekten verstehen ihren Entwurf als eine gebaute Skizze. Eine Erscheinung aus einer vergangenen Zeit. Mit seiner leichten, fast geisterhaften Erscheinung möchte er eine Geschichte erzählen. Er besteht nur aus Linien, weiß wie das Weiß des Porzellans und golden wie das Gold des Zierrandes edlen Geschirrs. Sie bilden den Umriss einer ursprünglich trivialen Idee, beschreiben nun aber auf poetische Weise ein Gefäß für eine beiläufige Geschichte, die sich am Rande eines Zusammentreffens zweier großer Persönlichkeiten des letzten Jahrhunderts ergeben hatte.
https://www.designlines.de/stories/Gropius,-Rosenthal-und-der-Schweinestall_16521044.html
Fotos: feinkorn; Rosenthal; unique assemblage
Text: unique assemblage
https://www.rosenthal.de/de/cms/magazin/philip-rosenthal-kundenmagazin/gropius-goes-rosenthal/
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